20. September 2001 <Gast> |
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20. September 2001 | |||
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Heimliche Komplizen
Über Sicherheit und Terror / Von Giorgio
Agamben
Sicherheit als Leitbegriff staatlicher Politik ist
so alt wie die Geburt des modernen Staates. Schon bei Hobbes ist sie als
Gegenbegriff zur Furcht zu finden, die die Menschen zwingt, sich zur
Gesellschaft zusammenzuschließen. Aber erst im achtzehnten Jahrhundert
kommt das Sicherheitsdenken zur vollen Entfaltung. Michel Foucault hat
1978 in einer immer noch nicht veröffentlichten Vorlesung am Collège de
France gezeigt, wie sich in der politischen und ökonomischen Praxis der
Physiokraten die Sicherheit dem Gesetz und der Disziplin als Instrument
des Regierens entgegenstellt. Für Turgot und Quesnay wie auch für die
physiokratischen Minister ging es nicht darum, Hungersnöten vorzubeugen
oder der Produktion Vorschriften zu machen, sondern deren Entwicklung
zuzulassen, um dann die Folgen zu steuern und zu "sichern". Während die
disziplinierende Macht isoliert und Räume schließt, führen die Maßnahmen
der Sicherheit zur Öffnung und zur Globalisierung; während das Gesetz
vorbeugen und vorschreiben will, will die Sicherheit in die laufenden
Prozesse eingreifen, um sie zu lenken. Mit einem Wort, die Disziplin will
die Ordnung herstellen, die Sicherheit will die Unordnung steuern. Weil
die Maßnahmen der Sicherheit nur unter der Voraussetzung einer gewissen
Freiheit des Verkehrs, des Handels und der Eigeninitiative greifen, kann
Foucault zeigen, daß ihre Entfaltung mit der Durchsetzung der Ideen des
Liberalismus einhergeht.
Heute stehen wir vor den extremen und gefährlichsten Entwicklungen dieses Sicherheitsdenkens. Im Laufe der schrittweisen Neutralisierung der Politik und der fortschreitenden Preisgabe traditioneller staatlicher Aufgaben drängt sich die Sicherheit als Grundprinzip staatlichen Handelns auf. Was noch bis zur ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine unter mehreren ausschlaggebenden Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung war, wird nun zum einzigen Kriterium politischer Legitimation. Das Sicherheitsdenken bringt jedoch ein wesentliches Risiko mit sich. Ein Staat, der als einzige Legitimation und als einzige Aufgabe die Sicherheit hat, ist ein zerbrechlicher Organismus; er kann ständig vom Terrorismus provoziert werden, selbst terroristisch zu werden. Man sollte nicht vergessen, daß die erste großangelegte Terrororganisation nach dem Krieg, die Organisation de l'Armée Secrète (OAS), von einem französischen General aufgebaut wurde, der sich für einen Patrioten hielt und überzeugt war, daß die einzige Antwort auf das Phänomen der Guerrilla in Algerien und Indochina der Terrorismus sei. Wenn Politik, wie die Theoretiker der "Polizeiwissenschaft" im achtzehnten Jahrhundert sie verstanden, sich völlig auf Polizei reduziert, droht der Unterschied zwischen Staat und Terrorismus zu verschwinden. Am Ende kann es so weit kommen, daß Sicherheit und Terror ein einziges tödliches System bilden, in dem sie ihre Handlungen wechselseitig rechtfertigen und legitimieren. Das Risiko liegt hierbei nicht nur darin, daß sich heimliche Komplizenschaften zwischen beiden Gegnern einstellen, sondern daß die Suche nach Sicherheit zu einem Weltbürgerkrieg führt, der jedes zivilisierte Zusammenleben unmöglich macht. In der neuen Lage, die nach dem Ende der klassischen Form des Krieges zwischen souveränen Staaten entstanden ist, wird also deutlich, daß die Sicherheit mit der Globalisierung an ihr Ziel gelangt: Sie impliziert die Idee einer neuen planetarischen Ordnung, die in Wahrheit die schlimmste aller Unordnungen ist. Aber es gibt eine weitere Gefahr. Insofern sie den dauerhaften Bezug auf einen Notstand erfordern, wirken die Maßnahmen der Sicherheit im Sinne einer zunehmenden Entpolitisierung der Gesellschaft. Auf lange Sicht sind sie unvereinbar mit der Demokratie. Nichts ist daher notwendiger als eine Revision des Begriffs der Sicherheit als Leitgedankens staatlicher Politik. Die europäischen und amerikanischen Politiker müssen endlich die katastrophalen Konsequenzen bedenken, die ein unkritischer Gebrauch dieser Denkfigur im globalen Maßstab nach sich zu ziehen droht. Nicht, daß Demokratien darauf verzichten müßten, sich zu verteidigen: Aber vielleicht ist die Zeit gekommen, an der Vorbeugung von Unordnung und Katastrophen zu arbeiten, nicht nur an ihrer Beherrschung. Es gibt heute Pläne für alle Arten von Notfällen (ökologische, medizinische, militärische), aber keine Politik, um ihnen vorzubeugen. Im Gegenteil, man kann sagen, die Politik arbeite insgeheim daran, Notfälle zu produzieren. Aufgabe einer demokratischen Politik ist es, zu verhindern, daß Bedingungen entstehen, die zu Haß, Terror und Zerstörung führen - und sich nicht darauf zu beschränken, sie erst dann beherrschen zu wollen, wenn sie bereits entstanden sind. Aus dem Italienischen von Achim Bahnen. Der 1942 in Rom geborene Autor lehrt Philosophie
in Verona und in den Vereinigten Staaten. Er war bis vor kurzem
Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins und
hat eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder
aufgefunden. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor
allem mit politischer Philosophie. Sein bisher wichtigstes Buch "Homo
sacer" (1995) ist Teil einer mehrbändigen philosophischen Genealogie des
Verhältnisses von Biologie und Politik. Dazu gehört auch eine Studie über
die Vernichtungslager, die englisch unter dem Titel "The Remnants of
Auschwitz" erschien. Beide Bände harren noch ihrer Übertragung ins
Deutsche. Zuletzt veröffentlichte Agamben eine Untersuchung über den
Messianismus des Paulus. F.A.Z.
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